60 Jahre Amnesty International – Die Geschichte
Am 28. Mai 1961 veröffentlichte der britische Rechtsanwalt Peter Benenson in der Zeitung „Observer“ einen Artikel mit dem Titel „The Forgotten Prisoners – Appeal for Amnesty“. Darin machte er auf das Schicksal politischer Gefangener weltweit aufmerksam. Er rief dazu auf, sich in Briefen an die jeweilige Regierung für die Freiheit dieser Menschen einzusetzen. Das war die Geburtsstunde von Amnesty International. Heute, 60 Jahre später, ist Amnesty die weltweit größte Menschenrechtsorganisation mit ca. 10 Millionen Mitgliedern!
Zu diesem bemerkenswerten Jubiläum veröffentlichen wir auf dieser Seite Beiträge von Unterstützern unserer Gruppe 1503 Bovenden-Goettingen, in denen wir schildern, wie wir zu Amnesty gekommen sind, was uns antreibt, Amnesty und die Menschenrechte zu unterstützen.
Heidrun Kofahl-Langmack – Sprecherin der Gruppe 1503 Bovenden-Göttingen
Anlässlich des 60. Geburtstag von Amnesty International erzähle ich gern, aus welchem Grund ich mich seit fast 45 Jahren für diese großartige Organisation und damit für die Menschenrechte einsetze!
Zu Beginn meines Jurastudiums in Göttingen 1974 war ich schnell desillusioniert, weil ich nicht nur stur Jura auf’s Examen hin pauken, sondern mich darüber hinaus politisch und sozial engagieren und mein juristisches Rüstzeug auch entsprechend einsetzen wollte.
Also habe ich mich umgesehen, was zu mir passt. Eine Hochschulgruppe hätte nahegelegen, aber ich wollte mich nicht auf eine Parteilinie einschwören lassen, bis heute nicht. Mir ging und geht es immer um die Sache.
So bin ich auf Amnesty International gestoßen und wusste: Das ist es!
Mich parteiübergreifend für politische Gefangene einsetzen, gegen Gewalt, Folter, Todesstrafe und für faire Gerichtsverfahren. Auch die Bedingung, dass die politischen Gefangenen keine Gewalt angewendet haben oder befürworten dürfen, ist mir wichtig.
Seit 1975 bin ich nun für ai tätig, habe dabei immer interessante Menschen getroffen, die dieselben Ziele verfolgen wie ich und sich offen gegen Unrecht wenden. Ich habe in dieser Arbeit meine Vorbilder kennengelernt und erkannt, welch gute Lebensbedingungen wir hier genießen – in Frieden und in einem demokratischen Rechtsstaat. Jetzt, nach Ende meiner Berufstätigkeit als Juristin, kann ich mich wieder verstärkt der Arbeit für Amnesty widmen und engagiere mich erneut mit voller Überzeugung.
Unsere Bovender Gruppe konnte schon viele schöne Aktivitäten und gemeinsame Erfolge erleben.
Unvergesslich bleibt der Fall des Marokkaners Abdellali el Hajji, den wir von 1979 – 1989 betreut haben. Er wurde als Gewerkschafter zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er offen seine Meinung vertreten hatte. Die Kontaktaufnahme war lange schwierig, bis eine unverfänglich wirkende Urlaubskarte durch die Gefängnismauern von Kenitra/Marokko den Weg zu ihm fand, auf die er sofort reagierte – mit vorsichtigen Worten, die jedoch verrieten, dass er den Hintergrund unseres Engagements ahnte. Es folgte ein reger Briefwechsel mit ihm, wobei er die meisten seiner Berichte aus dem Gefängnis „auf Nebenwegen“ versenden ließ. Aber alle unsere Appelle an das damalige Regime, die Botschaft etc. blieben zunächst ohne Erfolg. Dann besuchten Michael und Uta Bokemeyer, die als Marokko-Kenner den Fall in unserer Gruppe übernommen hatten, Abdellali in Kenitra. Zur Absicherung unserer Gruppenmitglieder wurden hier das Auswärtige Amt und weitere einflussreiche Personen über das Vorhaben informiert. Um ein persönliches Treffen zu ermöglichen, hatte Abdellali sich kurz zuvor in ein Krankenhaus einweisen lassen. Alles klappte! Michael und Uta konnten ihn im Krankenhaus besuchen und lernten auch Abdellalis Familie kennen.
Einige Monate später erhielten wir ein Telegramm: „Suis libre“. Das war 1989. Abdellali war im Rahmen einer Amnestie nach der Hälfte der Haftzeit entlassen worden!
Stellt Euch vor, Ihr werdet nach 10 Jahren Betreuung von der Nachricht überrascht: Ich bin frei! Ein unbeschreiblicher Moment! Michael und Uta haben heute noch Kontakt zu Abdellali.
Ein weiterer Höhepunkt unserer Arbeit war die Einweihung des Menschenrechtspfades an der Plesseburg oberhalb von Bovenden / Eddigehausen im Jahr 2010. Dieser Plesse- Menschenrechtspfad wurde von den Amnesty-Gruppen Bovenden/Göttingen in Kooperation mit dem Forstamt erstellt. Auf dem 10 km langen Rundwanderweg sind Tafeln zu entdecken, auf denen die 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen zum Nachdenken und Diskutieren anregen.
Wir bieten auch Führungen und Materialien für Schulklassen und interessierte Besucher an, da wir die Menschenrechtsbildung für eine sehr wichtige Aufgabe halten (s. unter „Der Menschenrechtspfad“ auf dieser Homepage).
Hinzu kommen unzählige „Briefe gegen das Vergessen“, Urgent Actions, Lesungen, Gottesdienste, Mahnwachen…
Die Arbeit für Amnesty International lohnt sich!
Interview Stadtradio Göttingen
Dieses Interview wurde am 27.06.21 vom Göttinger Stadtradio gesendet. Unser Gründungsmitglied Michael Bokemeyer erzählt von den Anfängen unserer Arbeit vor fast 50 Jahren.
Sehr beeindruckend, seine Geschichten: Als der Einsatz für Menschenrechte noch viel persönlichen Mut und Phantasie erforderten.